Wirksamkeit fragwürdig – Skandale um Krebsmedikamente

Nicht nur die Zulassungen für Medikamente gegen Krebs stehen in der Kritik. Hinter Medikamenten, die keinen Nutzen für Patienten bringen, steht ein strukturelles Problem der Zulassungsverfahren. Durchgeführt werden solche Studien von Forschern, Ärzten und Institutionen, die eng mit der Pharmaindustrie verbandelt sind und die jeden Trick kennen, um neue Produkte durch die Zulassungsverfahren zu schleusen.

Dieser Artikel von 2017 im renommierten British Medical Journal (BMJ) sollte Ärzten, Patienten, Krankenkassen und Gesundheitsoffiziellen zu denken geben: Die Mehrzahl der überteuerten Medikamente gegen Krebs, die zwischen 2009 und 2013 auf den Markt kamen, haben nur für die Hersteller einen nachgewiesenen Nutzen! Weder sei bei der Zulassung bewiesen worden, dass sie lebensverlängernd wirkten, noch existierten Belege dafür, dass sie die Lebensqualität der Erkrankten verbessern könnten. Der Artikel war auch Basis für einen Bericht des ARD-Magazins Monitor.

Dass solche Medikamente trotzdem zugelassen werden, liegt an einem in der Pharmaforschung weit verbreiteten Trick: Anstatt direkt nachzuweisen, dass ein Medikament hilft, werden Surrogatmarker herangezogen, eine pharmakologisch kontrovers diskutierte Praxis! Surrogatmarker sind indirekte Messwerte, die manchmal nicht einmal bei Patienten ermittelt werden, sondern nur in Zellkulturen im „Reagenzglas“, wobei weiterer Trickserei Tür und Tore geöffnet werden, denn ein menschlicher Organismus ist unendlich komplexer als ein künstlich am Leben gehaltener Haufen Zellen im Labor.

Chemopatientin

Die im Artikel zitierten Forscher vom King‘s College London und der London School of Economics erklärten zwar, neuere Medikamente böten einen Überlebensgewinn gegenüber älteren Medikamenten, doch sei dieser gering. Hier muss man sich fragen, angesichts der massiven Toxizität der Chemotherapien, ob neuere Medikamente einfach nur ein bisschen weniger giftig sind als ältere und ob der geringe Überlebensgewinn lediglich darin besteht, dass die Patienten ein bisschen weniger vergiftet werden.

Die Kritik der Londoner Wissenschaftler bezeichnen die neu zugelassenen Krebsmedikamente als eine große Verschwendung öffentlicher Gelder, die die Versorgung mit tatsächlich wirksamen Therapien behinderten.

Ist die EMA (European Medicines Agency) nur eine Aussenstelle der Pharma-Riesen?

Die Londoner Forscher untersuchten 68 Krebsmedikamente, deren Zulassung zentral vom EU-Gesundheitsinstitut EMA betrieben wurde und für die EU-Mitgliedsländer bindend ist. Von den 68 Mitteln kamen 39 lediglich auf Basis von Surrogatmarkern, also ohne wirklichen Beleg dafür auf den Markt, dass sie die Überlebensrate verlängern oder die Lebensqualität der Patienten verbessern können.

Nachdem diese Mittel fünf Jahre lang verschrieben wurden, zeigten nur ganze acht (!) von ihnen geringe Überlebensvorteile oder eine leicht verbesserte Lebensqualität. Wie diese Mittel also tatsächlich wirken, zeigt sich in vielen Fällen erst nach der Zulassung, wenn die Medikamente tagtäglich den Patienten verabreicht werden, die gar nicht wissen, dass sie als eine Art Versuchskaninchen fungieren und man an ihnen nun erstmalig beobachten kann, wie und ob die Medikamente in echten Menschen wirken. Menschenversuche, für die die Pharmaindustrie nicht bezahlen muss, sondern die sie sich fürstlich bezahlen lässt!

EMA – Pharmalobbyismus mit maximaler Effizienz

Die zentrale Zulassung über die EMA hat für die Pharmaindustrie nur Vorteile: Man muss nicht in jedem Land seine neuen Kassenschlager einzeln zulassen, sondern kann sich auf eine einzige Zulassungsbehörde konzentrieren, was eine Menge Geld spart und auch Zeit.

Unterm Strich kommt dabei eine Gesundheitspolitik heraus, die ein Skandal für sich ist: Laut den Londoner Forschern zeigten von allen zugelassenen Krebsmedikamenten letztendlich nur 51 Prozent therapeutische Vorteile (Überlebensgewinn, Verbesserung der Lebensqualität) gegenüber früheren Therapien bzw. gegenüber Placebo. Die Standards der Zulassungsbestimmungen schaffe, so der Artikel im BJM, jedenfalls keine Anreize dafür, dass Arzneimittel entwickelt würden, die bestmöglich auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt seien.

Zusammengefasst müsse man sagen, dass diese Fakten ziemlich ernüchternd seien, schreibt Vinay Prasad, Assistenzprofessor an der Oregon Health & Science University, in einem Editorial im BMJ: Die hohen Kosten und auch die Toxizität von Krebsmedikamenten zeigten, dass man die Verpflichtung habe, Patienten nur dann einer Krebstherapie auszusetzen, wenn sie eine tatsächliche Verbesserung ihres Zustandes erwarten könnten. Von einem solchen Kriterium aber sei man derzeit noch sehr weit entfernt.

Aktuelle Praxis von Studien zu Medikamenten

Die dubiose Praxis von Zulassungsstudien ist seit langer Zeit auch Thema in ansonsten eher pharmafreundlichen Medien wie dem Spiegel, dem Arznei-Telegramm, dem SWR-Magazin Odysso, DIE WELT oder Süddeutschen Zeitung. Kurz zusammengefasst sieht die seit Jahrzehnten praktizierte Wirklichkeit von Zulassungsstudien so aus:

90 Prozent der Studien im medizinischen Bereich werden von den Herstellern finanziert, von den verbleibenden zehn Prozent wird ein nicht geringer Teil von Institutionen durchgeführt, die indirekt am Tropf der Pharma hängen wie zum Beispiel von ihnen co-finanzierte Stiftungen. Meist sieht es so aus: Ein Pharmakonzern hat ein neues Medikament und sucht sich ein „unabhängiges“ Institut, mit dem es schon gut zusammengearbeitet hat, dazu vielleicht noch externe Fachleute, die ebenfalls schon Geld vom Konzern genommen haben. Diese vom Konzern abhängigen Menschen und Institute geben sich dann, man möchte ja auch in Zukunft Geld vom Konzern erhalten, natürlich alle Mühe, das vom Auftraggeber gewünschte Ergebnis herauszuarbeiten.

Systematischer Betrug bei Studien wird
von den Aufsichtsbehörden toleriert

Dr. Deborah Cohen, Mitherausgeberin des British Medical Journal, weist beispielhaft auf methodische Probleme besagter Studien hin (bzgl. Studiendesign, Durchführung, Analyse und Berichterstattung), die von der EMA entweder nicht identifiziert oder schlicht übersehen würden. Die Tatsache, dass so viele der neu auf dem Markt erschienenen Krebsmedikamente nicht über ausreichend Belege für ihre Wirkung verfügten, man also nicht wisse, ob sie dem Patienten auch wirklich nützten, bringe die Regierungen in eine schwierige Lage, wenn es künftig darum ginge, welche Therapien nun bezahlt werden und welche nicht.

Wie seriöse Zulassungsstudien aussehen müssen

Medikamente müssen, damit ihr Nutzen nachgewiesen werden kann, in randomisierten, doppelt placebo-kontrollierten Studien in repräsentativen Bevölkerungsgruppen getestet werden. Das heisst, die Versuchspatienten werden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) in zwei Gruppen aufgeteilt, eine bekommt das Medikament, die andere ein gleich aussehendes (wirkungsloses) Placebo. Weder die Patienten noch die Forscher und Ärzte wissen, welcher Patient was bekommt. Nach Ablauf einer gewissen Zeit schaut man dann nach, wie es den Patienten geht und hat dann eine zuverlässige Aussage über Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit eines Medikamentes.

Wenn Sie, verehrter Leser, auch nur ein einziges schulmedizinisches Medikament kennen, dessen Zulassung über ein doppelblinde, randomisierte und placebo-kontrollierte Studie erfolgte, dann schreiben Sie uns bitte eine Email. Uns ist, Stand jetzt, leider kein einziges Medikament bekannt, das diese Standards erfüllt, die eigentlich selbstverständlich sein sollten!

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